Freitag, 4. Februar 2011

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Yasmina Reza: Adam Haberberg
Bei diesem Buch handelt es sich um einen kurzen Roman; er handelt von - wie der Titel bereits sagt - einem Mann namens Adam Haberberg. Dieser Mann ist etwa 50 Jahre alt, hat Probleme mit seiner Gesundheit und seine Ehe ist unglücklich. Der Roman spielt sich an einem einzigen Abend ab: Zufällig trifft Adam Haberberg eine Frau, mit der er zur Schule gegangen ist. Eher widerwillig verbringt er den Abend mit ihr, in dessen Verlauf deutlich wird, dass die zwei sehr weit voneinander entfernt sind, so dass wirkliche Kommunikation kaum möglich ist...
Darauf gekommen, dieses Buch zu lesen, bin ich durch das von Reza verfasste Theaterstück "Der Gott des Gemetzels", das ich letztes Jahr gesehen hab und von dem ich sehr begeistert war.
Ich habe lange mehr keine Prosa dieser Art gelesen und bin dementsprechend etwas überfordert mit den ganzen Interpretationsmöglichkeiten, die dieser Roman sicherlich bietet. Sicher ist aber, dass er sehr beeindruckende und bewegende Textpassagen enthält, wie diese:

"Adam erinert sich an Hervé Cohen. Ein Name, er aus seinem Leben verschwunden ist und den er ohne die heutige Begegnung nie wieder ausgesprochen hätte. Dabei erinnert er sich an Hervé Cohen, sie haben sich gegenseitig besucht, waren zusammen im Wintersport in den Pyrenäen. Adam weiß noch, wie sie im Hotelzimmer in Font-Romeu zusammen Passah gefeiert haben. Die Eltern Cohen suchten Jersusalem. Das ist ganz einfach, sagte der Vater, wo ist Perpignan? Die Mutter zeigte auf eine Wand, er tendierte zu einer anderen, er sagte, was versteht die von Orientierung, eine Frau, die keine Straßenkarte aufschlagen kann, ohne auf Klagenfurt zu stoßen? Der Vater hatte schließlich seine Auffassung von Geographie durchgesetzt, und sie alle, die Eltern, Hervé, die Schwester Joelle und er, Adam, hatten sich schließlich der Wand gegenüber dem Fenster zugewandt. Während des Gebets war die Mutter in Gelächter ausgebrochen, die Kinder wurden angesteckt, während der Vater, in einem Skipullover von Jacquard und seinen Tallit halb über den Kopf geworfen, weiter vorgelesen hatte, die Durchquerung des Roten Meeres, inbrünstig und mißbilligend, vor der Toilettentür. Die Eltern Cohen waren das Gegenteil seiner eigenen, denkt Adam. Die Eltern Cohen waren fröhlich und irrational. Die Eltern Cohen waren wundervoll. Was zählt, wenn man dreißig Jahre später dieses Klassenfoto anschaut, denkt Adam, das sind weder Alice Canella noch Tristan Mateo noch Hervé Cohen, sondern die Eltern Cohen. [...] Von den eigenen Eltern, denkt er, kann man nicht sagen: die Eltern Haberberg, so wie man sagt: die Eltern Cohen. Die Eltern Haberberg waren sittenstreng und mäkelig, und sie liebten sich nicht. Sie interessierten sich nicht für die Freunde ihres Sohnes wie die Eltern Cohen. [...] Und ebensowenig, denkt er, wird man von Irène und ihm als den Eltern Haberberg sprechen. Niemals wird ein Freund seiner Kinder sich an sie erinnern und dabei die Eltern Haberberg denken. Die Eltern Haberberg, das sagt gar nichts. Bei den Eltern Cohen fühlte man sich als Sohn."

Diese Stelle hat mich besonders berührt, und mir ist durch das Buch auch klargeworden, was die besondere Schönheit von Prosa wie dieser im Vergleich zu "herkömmlicher Literatur", die ich ja hauptsächlich lese, ausmacht.

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